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#Politica climatica
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Lernen aus der Coronakrise?

«Natürlich», sagte Mailands Vizebürgermeister Marco Granelli letzte Woche gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian, «wollen wir die Wirtschaft wiederaufbauen, aber ich denke, wir sollten es auf einer neuen Grundlage tun.» Und sein Kollege Pierfrancesco Maran ergänzte: «Wir planten für 2030; nun nennen wir es 2020.»

Systemwandel für die Wirtschaft

Wenn sich in Italien alle danach sehnen, dass der Alptraum der Pandemie bald vorbei ist, will man doch nicht alles wieder so haben, wie es vorher war. Die Lombardei gehört zu den Regionen Europas mit der schlechtesten Luftqualität. Neue Forschungen legen nahe, dass die Luftverschmutzung den Verlauf der Covid-19-Krankheit verschlimmert. Im Lockdown war die Luft in der Lombardei so sauber wie sehr lange nicht mehr. Mailand reduziert nun die Verkehrsflächen für Autos zugunsten des Fuss- und Veloverkehrs. Die Stadt strebt im Verkehrsbereich an, was laut dem Klimarat IPCC «in allen Bereichen der Wirtschaft» not tut: «Systemwandel».

Gegenwind für die Umweltpolitik

Die Welt, in der die Corona-Pandemie ausbrach, war bereits eine Welt in multiplen Krisen – darunter die Klimakrise. Es kann jetzt deshalb nicht darum gehen, in eine vermeintliche Vor-Krisenzeit zurückzukehren, sondern es muss darum gehen, wie wir vorwärts kommen. Ich mag eine Katastrophe wie die Corona-Pandemie nicht «Chance» nennen. Aber man kann versuchen, das eine oder andere richtig zu machen.

Ob die Coronakrise Änderungen auslöst, die bleiben, und in welche Richtung diese Änderungen gehen werden, wird sehr kontrovers diskutiert (wer meine wöchentlichen Climate Updates abonniert hat, hat davon einiges mitbekommen). Auch die Gegner*innen der Umweltpolitik sind aktiv. In den USA hat die Regierung Trump den Vollzug der Umweltgesetze suspendiert; klimaschädigende Branchen werden mit Notkrediten am Leben erhalten, und auch in der Schweiz setzt sich beispielsweise die Autobranche für eine Schwächung der Klimaziele ein.

Klare Argumente für die Klimapolitik sind gefragt

Fast alle politischen Interessengruppen versuchen nun, das, was sie immer schon forderten, im Lichte der Pandemie erst recht zu fordern. Wenn wir nun «erst recht» nach einer ernsthaften Klimapolitik rufen, ist das zunächst einfach erwartbar. Umso wichtiger ist es, sauber zu argumentieren, Synergien zu suchen und nebst den Parallelen zwischen den Krisen auch die Unterschiede klar zu sehen.

Die folgenden Lehren scheinen mir am wichtigsten:

1) Die Welt ändert sich manchmal sehr schnell. Es ist vieles möglich, was bis vor kurzem unmöglich schien. Es darf nach dem Ende der Krise nicht mehr so einfach sein, klimapolitische Massnahmen mit dem Argument abzutun, das sei «unmöglich». Allerdings: Das Bewusstsein für die Klimakrise als Krise fehlt heute noch weitgehend.

2) In der Coronakrise müssen wir auf einer prekären Wissensbasis handeln: Das Virus ist neu, man weiss wenig darüber; trotzdem konnte man mit Massnahmen nicht warten, bis Gewissheit herrschte. Man nennt dies das Vorsorgeprinzip. Auch in der Klimakrise müssen wir uns vom Vorsorgeprinzip leiten lassen – doch ist die Wissensbasis sehr viel gefestigter. Wir wissen, was zu tun ist.

3) Die Pandemie verlangte nach einem vorübergehenden Lockdown, die Klimakrise verlangt nach bleibenden strukturellen Änderungen. Das ist, wenn man es richtig anpackt, sehr viel angenehmer. Aber machen wir uns nichts vor: Es ruft auch mächtigere Gegner*innen auf den Plan. Sie versuchen jetzt schon, die in der Umweltpolitik nötigen Massnahmen als eine Art Lockdown darzustellen (wie beispielsweise FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen in diesem Tweet vom 28. Februar).

4) Wir sehen jetzt, dass unsere Wirtschaft wenig krisenfest ist (wobei die Schweiz dank guter Institutionen vergleichsweise glimpflich davon kommt). Die Gletscher-Initiative verlangt, dass die Klimapolitik «zu einer Stärkung der Volkswirtschaft führt». Im Erläuternden Bericht haben wir dazu vor genau einem Jahr geschrieben, zur Stärke einer Volkswirtschaft gehörten «etwa das Bereitstellen von Arbeitsplätzen oder die ökonomische Resilienz, also die Krisenfestigkeit.» Wenn jetzt die Wirtschaft mit vielen Milliarden gestützt werden muss, sollte man darüber nachdenken, wie diese Wirtschaft künftig krisenfester gemacht werden kann.

Wir brauchen neue Narrative

Es fehlt in der Klimakrise weder an Wissen noch an Lösungen. Was fehlt, sind Narrative, also Erzählungen, mit denen wir uns die Welt erklären. Es fehlen Geschichten, die eine Welt denkbar machen, in der man gut leben kann, ohne die eigenen Lebensgrundlagen aufzubrauchen. Diese Narrative existieren zwar, aber sie werden von den viel dominanteren Narrativen verdrängt – vom Narrativ des Marktes beispielsweise, der alles zum Besten regelt; vom Narrativ der Umweltpolitik als Luxus, den man sich nur in guten Zeiten leisten kann und so weiter.

Das Coronavirus bringt gerade ein paar alte Narrative ins Wanken. Ob und wie sehr das am Ende der Klimapolitik hilft, kann heute niemand wissen. Es hängt auch ein wenig von unserem Engagement ab.